Einführung zu Talmud Esser HaSefirot, Punkt 11 – 20

11. Aus den Worten der Weisen des Talmuds sehen wir aber, dass sie uns den Weg der Torah mehr erleichterten als die Weisen der Mischna, weil sie sagten: „Es soll sich der Mensch immer mit der Torah und den Geboten sogar i.S.v. Lo Lishma beschäftigen, und von Lo Lishma wird er zu Lishma gelangen, weil das Licht, welches in der Torah eingeschlossen ist, ihn zu der Quelle zurückführt.“

Dadurch stellten sie uns ein neues Mittel statt der in der Mischna beschriebenen Askese zur Verfügung „das Licht, welches in der Torah eingeschlossen ist“, in welchem eine Kraft vorhanden ist, die ausreicht, um den Menschen zu der Quelle zurückzuführen und ihn zu Studien der Torah und den Geboten i.S.v. Lishma zu führen. Denn sie erwähnten hier keine Askese, sondern wiesen darauf hin, dass die Beschäftigung nur mit der Torah und den Geboten einem Menschen ausreichend Licht gibt, welches ihn zu der Quelle zurückführt, damit er sich mit der Torah und den Geboten nur zu dem Zweck beschäftigen kann, dem Schöpfer Genuss zu bereiten, und nicht zum Selbstgenuss, was eben „Lishma“ heißt.

12. Auf den ersten Blick kann man zwar an ihren Worten zweifeln: haben wir nicht etwa einige Studenten gefunden, denen das Studium der Torah nicht soweit genutzt hat, um mittels des Lichtes, welches sich in ihr birgt, zu Lishma zu gelangen? Die Beschäftigung mit der Torah und den Geboten i.S.v. Lo Lishma bedeutet aber, dass der Mensch an den Schöpfer glaubt, an die Torah, an Belohnung und Strafe, und sich mit der Torah beschäftigt, weil der Schöpfer es befohlen hat, sich mit ihr zu beschäftigen, verbindet aber den Selbstgenuss damit, dem Schöpfer Genuss zu bereiten.

Und wenn nach all der Arbeit in der Torah und in den Geboten es dem Menschen klar wird, dass er mittels dieser Beschäftigung und großer Bemühung keinen Genuss und Eigennutzen bekommen hat, bedauert er alle von ihm unternommenen Anstrengungen, da er sich von Beginn an in der Vermutung peinigte, dass auch er Genuss an solchen seinen Bemühungen haben wird, was eben als Lo Lishma bezeichnet wird.

Nichtsdestotrotz erlaubten es die Weisen, die Beschäftigung mit der Torah und den Geboten auch i.S.v. Lo Lishma zu beginnen, weil man von Lo Lishma zu Lishma gelangt. Wenn solch ein Mensch aber noch nicht des Glaubens an den Schöpfer und an seine Torah gewürdigt wurde, sondern in Zweifeln verweilt, so kennzeichnen die Sprüche der Weisen ihn mit: „Von Lo Lishma gelangt man zu Lishma“. Und es steht auch nicht über ihn: „Die Beschäftigung mit der Torah führt dazu, dass das Licht, welches sich in ihr birgt, zur Quelle zurückführt“. Denn das Licht, welches in der Torah eingeschlossen ist, leuchtet nur demjenigen, der über den Glauben verfügt. Mehr als das entspricht die Größe dieses Lichts der Stärke seines Glaubens. Und im Gegenteil bekommen diejenigen, die des Glaubens beraubt sind, von der Torah Finsterns, und es wird dunkel in ihren Augen.

13. In Verbindung damit gaben die Weisen bereits ein schönes Gleichnis auf die Worte: „Wehe denen, die den Tag des Schöpfers begehren! Wozu wollt ihr ihn, den Tag des Schöpfers? Da ist Dunkel, und nicht Licht!” (Amos, 5:18). Das Gleichnis berichtet von dem Hahn und der Fledermaus, die auf das Licht warten. Es sagte der Hahn zur Fledermaus: „Ich warte auf das Licht, weil das Licht meines ist. Und du, wozu brauchst du das Licht?” (Sanhedrin, 98, S.2) Daraus wird ersichtlich, warum jene Studierten nicht dessen würdig wurden, von Lo Lishma zu Lishma zu gelangen. Sie hatten keinen Glauben, und erhielten daher keinerlei Licht von der Torah, und das bedeutet, dass sie im Dunkeln wandern werden und sterben werden, ohne die Weisheit zu erreichen.

Denjenigen aber, die des vollen Glaubens gewürdigt wurden, wurde von den Weisen versprochen, dass bei der Beschäftigung mit der Torah, sogar i.S.v. Lo Lishma das Licht, welches sich in ihr birgt, sie zu der Quelle zurückführt. Und sogar ohne vorherige Leiden und asketisches Leben werden sie der Torah i.S.v. Lishma gewürdigt werden, die zu einem Leben voller Glück und Wohl führt, in dieser Welt wie in der zukünftigen. Und von ihnen heißt es: „Dann wirst du deine Lust am Herren haben, und ich will dich über die Höhen auf Erden gehen lassen“ (Jesaja, 58:14).

14. Ähnlich dem oben gesagten erklärte ich einst den metaphorischen Ausspruch der Weisen: „Derjenige, für den die Torah sein Handwerk ist“. In der Beschäftigung mit der Torah wird die Größe des Glaubens eines Menschen erkannt, da die Worte „Sein Handwerk“ («Sein Handwerk“ ??????) aus den gleichen Buchstaben bestehen wie die Worte „Sein Glaube“ („Emunato“ ??????). Das gleicht dem, wenn ein Mensch, der seinem Freund vertraut, ihm Geld leiht. Vielleicht vertraut er ihm nur einen Groschen an, und wenn der ihn um zwei Groschen bitten wird, dann wird er nicht leihen wollen. Und vielleicht wird er ihm Hundert Groschen anvertrauen, aber nicht mehr. Vielleicht wird er ihm aber soweit glauben, dass er ihm die Hälfte seines Vermögens leihen wird, nicht aber das ganze Vermögen. Es ist aber auch möglich, dass er ihm ohne einen Schatten der Furcht das ganze Vermögen anvertraut. Diese letzte Variante gilt als der volle Glaube, während alle vorherigen Fälle nicht als der volle Glaube gelten, sondern als ein partieller, in größerem oder geringerem Maße.

Genauso widmet ein Mensch, entsprechend der Größe seines Glaubens an den Schöpfer, seiner Beschäftigungen mit der Torah und der Arbeit nur eine Stunde am Tag. Ein anderer teilt sich entsprechend dem Maß seines Glaubens an den Schöpfer zwei Stunden zu. Und der dritte lässt keinen einzigen Augenblick unberücksichtigt, um sich mit der Torah und der Arbeit zu beschäftigen. Und es heißt, dass nur der Glaube des Letzteren vollkommen ist, weil er dem Schöpfer im Umfang seines ganzen Zustandes glaubt. Im Unterschied dazu ist der Glaube der Vorausgehenden noch kein voller.

15. Der Mensch sollte also nicht darauf warten, dass ihn die Beschäftigung mit der Torah und den Geboten zu Lishma führen wird, solange er nicht in der Seele erkannt hat, dass er des angemessenen Glaubens an den Schöpfer und an Seine Torah gewürdigt wurde, denn dann wird ihn das Licht, welches sich in der Torah verbirgt, zu der Quelle zurückführen, und der Mensch wird des Tages des Schöpfers würdig werden, welcher vollkommen ist. Denn der Glaube reinigt die Augen eines Menschen, damit er das Licht des Schöpfers genießen möge, bis das Licht, welches sich in der Torah verbirgt, ihn schließlich zu der Quelle zurückführt.

Die Menschen, welche keinen Glauben haben, gleichen Fledermäusen, die nicht das Tageslicht erblicken können, weil dieses sich für sie in eine noch schrecklichere Finsternis als das Dunkel der Nacht verwandelt, denn sie ernähren sich nur im Dunkeln der Nacht. So werden auch die Augen derjenigen, die keinen Glauben haben, durch das Licht des Schöpfers geblendet. Und daher verwandelt sich für sie das Licht in Finsternis, und das Lebenselexir wird für sie zum tödlichen Gift. Und von ihnen heißt es: „Wehe denjenigen, die den Tag des Schöpfers begehren! Wozu braucht ihr ihn, den Tag des Schöpfers? Da ist Finsternis, und nicht Licht!” Daher muss man zuerst unbedingt einen vollen Glauben erreichen.

16. Daraus klärt sich das Problem aus Tosfot (Taanit, 7): „Für jeden, der sich mit der Torah i.S.v. Lishma beschäftigt, wird sie zu einem Lebenselexir. Und für jeden, der sich mit der Torah i.S.v. Lo Lishma beschäftigt, wird sie zu einem tödlichen Gift“. Es fragten die Weisen: „Steht es etwa nicht geschrieben, dass „der Mensch sich immer mit der Torah beschäftigen soll, auch i.S.v. Lo Lishma, denn von Lo Lishma gelangt man zu Lishma“?

Entsprechend dem oben dargelegten kann man eine einfache Einteilung vornehmen:

–    In diejenigen, die sich mit der Torah wegen des Gebots, die Torah zu studieren, beschäftigen. Sie glauben an Belohnung und Bestrafung, vereinen dennoch Selbstgenuss und den Eigennutz mit der Absicht, dem Schöpfer Genuss zu bereiten. Und daher führt sie das Licht, welches sich in der Torah verbirgt, zu der Quelle zurück, und sie gelangen zu Lishma.
–    Und in diejenigen, die sich mit der Torah nicht wegen des Gebots des Studiums der Torah beschäftigen. Weil sie nicht genug an Belohnungen und Bestrafung glauben, um für das Studium so viele Anstrengungen zu unternehmen, sondern sie bemühen sich nur zum eigenen Genuss. Daher wird die Torah für sie zu einem tödlichen Gift, weil das Licht, welches sich in ihr birgt, sich für sie in Finsternis verwandelt.

17. Daher verpflichtet sich jeder Studierende vor dem Studium dazu, sich im Glauben an den Schöpfer und an Seine Lenkung durch Belohnung und Strafe zu festigen. Wie es die Weisen sagten: „Treu ist Derjenige, für den du dich abmühst, um dir eine Belohnung für deine Mühen zu geben“ (Aussprüche der Väter, 6:5). Und er sollte seine Anstrengungen darauf ausrichten, dass sie für die Gebote der Torah sein würden. Auf diese Weise wird er würdig werden, das Licht zu genießen, welches sich in der Torah verbirgt, und sein Glaube wird sich ebenfalls festigen und durch wunderbare Wirkung dieses Lichtes anwachsen. Wie es geschrieben steht: „Das wird deinem Leibe heilsam sein und deine Gebeine erquicken“ (Sprüche 3:8).

Dann wird zweifellos sein Herz bereit sein, weil aus Lo Lishma Lishma kommen wird. Somit hat sogar derjenige, der selbst weiß, dass er noch nicht des Glaubens gewürdigt wurde eine Hoffnung, das mithilfe der Beschäftigung mit der Torah zu erreichen. Denn wenn er sein Herz und seinen Verstand dahin ausrichten wird, mittels der Torah des Glaubens an den Schöpfer gewürdigt zu werden, dann gibt es schon kein größeres Gebot als dieses. Wie die Weisen sagten: „Es kam Chabakuk und führte alles zu einem zusammen: der Gerechte wird von seinem Glauben leben“ (Makot, 24).

Darüber hinaus gibt es für ihn keinen anderen Rat außer diesem. Wie es heißt (im Traktat Bava-Batra, 16, S.1): „Raba sagte: „Job hat gebeten, die ganze Welt von der Einschränkung zu befreien. Er sagte vor Ihm:  „Herr der Welt, du hat die Gerechten erschaffen, Du hast die Sünder erschaffen, wer wird Dich verhindern?“ Und Raschi erklärt: „Du hast die Gerechten mittels des guten Triebs und die Sünder mittels des bösen Triebs erschaffen. Und daher wird sich keiner vor Deiner Hand retten, denn wer wird Dich hindern? Die Sünder sind hörig“. Und was antworteten die Freunde Jobs (Job, 16:4)? “Dadurch vernichtest du Ehrfurcht und führst den Appell an den Schöpfer zunichte. Der Schöpfer erschuf den bösen Trieb, und erschuf die Torah als Gewürz zu dessen Korrektur“.

Raschi erklärt: „Er erschuf die Torah – ein Gewürz, welches „verbrecherische Überlegungen“ wegfegt“. Es steht im Traktat Kidushin, 30, geschrieben: „Wenn dieser Sünder dir geschadet hat, ziehe ihn ins Studium. Ist er ein Stein – wird er erweichen. Daher sind sie keine Hörigen, denn sie können sich erretten”.

18. Es ist jedoch klar: sie können, indem sie sagen, dass sie dieses Gewürz angenommen haben, sich nicht vom Gericht befreien, wenn sie immer noch verbrecherische Überlegungen haben, das heißt immer noch schwanken, und der böse Trieb sich noch nicht abgeschwächt hat. Denn es ist klar, dass der Schöpfer, der den bösen Trieb schuf und ihm Kraft gab, auch wusste, wie richtige Arzneimittel und Gewürze zu kreieren sind, um die Kräfte dieses bösen Triebs aufzuzehren und ihn gänzlich zu vernichten.

Wenn sich aber jemand mit der Torah beschäftigte und den bösen Trieb nicht von sich entfernen konnte, dann ist es, weil er aus Fahrlässigkeit nicht die nötigen Anstrengungen und Mühen unternahm, wie es geschrieben steht: „Bemühte sich nicht und fand – sollst du nicht glauben“. Oder möglicherweise häuften sie eine erforderliche „Quantität“ Anstrengungen an, waren aber bei der „Qualität“ fahrlässig, das heißt während des Studiums der Torah richteten sie ihren Verstand und ihr Herz nicht darauf aus, das in der Torah enthaltene Licht anzuziehen, welches den Glauben ins Herz des Menschen trägt, sondern sie studierten abgelenkt von der Hauptforderung, welche an die Torah gestellt werden soll – das Licht, welches zum Glauben führt. Und sie waren zwar ursprünglich auf den Schöpfer ausgerichtet, wichen aber von Ihm während des Studiums ab.

So oder anders sollte man sich aber nicht vom Gericht unter dem Vorwand des Zwangs befreien, weil die Weisen uns zum Gegenteil durch den folgenden Spruch verpflichten: „Ich erschuf den bösen Trieb und ich erschuf die Torah als Gewürz zu dessen Korrektur“. Und wenn es hier irgendeine Ausnahme gäbe, bliebe die Frage Jobs in Kraft.

19. Mit Hilfe von alledem bisher Erläuterten habe ich eine riesige Mängelrüge bezüglich der Worte von Rav Chaim Vital im Vorwort zum Buch „Tor der Vorworte“ von Ari und im Vorwort zum Buch „Baum des Lebens“ beseitigt: „Es sollte aber der Mensch nicht sagen: „Ich werde gehen und mich mit der Wissenschaft der Kabbalah beschäftigen“, bevor er sich mit der Torah, der Mischna und dem Talmud beschäftigt hat. Denn es sagten bereits unsere Weisen: es soll kein Mensch den Garten betreten (Pardes), bevor er nicht seinen Leib mit Fleisch und Wein gefüllt hat. Denn das würde einer Seele ohne Körper gleichen, für die es keine Belohnung, Tat und Berechnung gibt, bevor sie sich nicht mit einem Körper verbunden hat, einem ganzheitlichen und durch die 613 Gebote der Torah korrigierten.

Und umgekehrt, wenn er sich mit dem Studium der Mischna und des Babylonischen Talmuds befasst, und keine Zeit dem Studium der Geheimnisse der Torah und ihres verborgenen Teils widmet, dann gleicht das einem Körper, der im Dunkeln ohne eine menschliche Seele sitzt – der Kerze des Schöpfers, die in ihm leuchtet. Und dann trocknet der Körper aus, ohne von der Quelle des Lebens zu trinken.

Daher sollte der Schüler eines Weisen, der sich mit der Torah im Sinne von Lishma beschäftigt, sich zunächst mit dem Studium der Torah, Mischna und des Talmuds befassen, soweit wie sein Verstand es aushalten kann, und dann soll er sich der Erkenntnis seines Schöpfers mittels des Studiums der Kabbalah widmen. Wie König David dies seinem Sohn Salomon auferlegte: „Erkenne den Schöpfer, deinen Vater und diene Ihm“ (Schriften, Divrej ha- Jamim, 28:9). Wenn es diesem Menschen aber schwer und hart beim Studium des Talmuds ergehen wird, ist es für ihn besser, ihn beiseite zu legen, nachdem er in ihm sein Glück versucht hat, und sich mit der Kabbalah zu beschäftigen.

Darüber steht geschrieben: „Folglich wird ein Schüler, der in fünf Jahren kein gutes Zeichen in seinem Studium gesehen hat, es nicht mehr sehen (Traktat Chulin, S.24). Aber jeder, dem das Studium leicht fällt, ist verpflichtet, dem Studium der Halacha ein oder zwei Stunden am Tag zu widmen, und sich in der Lösung komplizierter Fragen zu bemühen, die beim einfachen Verständnis der Halacha entstehen“.

20. Auf den ersten Blick sind diese seine Worte sehr merkwürdig, weil er sagt, dass man, bevor man im Studium des offenen Teils Erfolg hatte, beginnen sollte, sich mit der Kabbalah zu beschäftigen, was seinen Worten widerspricht, dass die Wissenschaft Kabbalah ohne den offenen Teil der Torah wie eine Seele ohne Körper ist, für die es keine Tat, Berechnung und Belohnung gibt. Und das Argument, welches er von einem Schüler anführt, der kein gutes Zeichen sah, ist noch merkwürdiger. Denn die Weisen empfahlen es, deswegen das Studium der Torah beiseite zu legen, nur mit dem Ziel, ihn zu warnen, damit er seinen Weg noch einmal überprüft und versucht, bei einem anderen Rav oder nach einem anderen Traktat zu lernen, aber natürlich keineswegs von der Torah abzulassen, selbst von deren offenem Teil nicht.