Einführung zu Talmud Esser HaSefirot, Punkt 131 – 140

131. Und für jene, denen die zweite Stufe der Offenbarung des Angesichts vergönnt wurde, die als Rückkehr aus Liebe bezeichnet wird, bei welcher sich böswillig begangene Verstöße in Verdienste verwandeln, gilt, dass sie die „Waagschale der Schuld“ der „Waagschale des Freispruchs“ zuneigten. Alle Leiden und Qualen, die in ihre Knochen eingemeißelt wurden, als sie der Lenkung der Verhüllung des Angesichts unterstanden, werden jetzt bewertet und verwandeln sich in die „Waagschale der Rechtfertigung (des Freispruchs)“. Jedes Leid und jeder Kummer verwandelt sich daher in unendlich herrlichen Genuss. Und nun heißen sie „Gerechte“, weil sie die Lenkung des Schöpfers rechtfertigen.

132. Wir müssen wissen, dass das Maß der Mittleren sogar dann möglich ist, wenn der Mensch der Lenkung durch die Verhüllung des Angesichts unterliegt. Dank zusätzlichen Anstrengungen in der Verfestigung im Glauben an Belohnung und Strafe öffnet sich für sie das Licht großen Vertrauens in den Schöpfer. Zu ihrer Zeit werden sie der Stufe der Offenbarung des Angesichts des Schöpfers entsprechend dem Maß der Mittleren gewürdigt. Der Mangel besteht aber darin, dass sie nicht in ihren Eigenschaften ausharren können, um fortwährend so bleiben zu können. Denn fortwährend bleiben kann man nur mittels der Reue aus Furcht.

133. Wir müssen auch Folgendes wissen. Wir sagten, dass die freie Wahl (freier Wille) nur in der Zeit der Verhüllung des Angesichts vorhanden ist, was aber nicht bedeutet, dass nachdem der Mensch der Lenkung durch die Offenbarung des Angesichts gewürdigt wurde, ihm keine Sorgen und Anstrengungen mehr in den Beschäftigungen mit der Torah und den Mizwot bevorstehen. Ganz im Gegenteil beginnt der Hauptteil der Arbeit in der Torah und den Mizwot erst nachdem der Mensch der Reue aus Liebe gewürdigt wurde. Denn erst dann kann er sich mit der Torah und den Geboten (Mizwot) in Liebe und Ehrfurcht beschäftigen, wie es uns geboten wurde. „Die Welt wurde nur für vollendete Gerechte erschaffen“ (Brachot 61).

Das gleicht einem König, der im Land alle seine treusten Untergebenen versammeln und sie in die Arbeit im Inneren seines Schlosses einführen wollte. Was tat er also: Er verschickte im ganzen Land einen offenen Befehl, dass jeder, der wollte, jung oder alt, in seinen Palast kommen und sich mit inneren Arbeiten im Palast beschäftigen möge. Er stellte aber eine viele Bedienstete zur Wache am Eingang zum Schloss und auf allen Wegen, die zu ihm führen, auf, und befahl ihnen, mit List alle in die Irre zu führen, die sich dem Schloss näherten, und sie von dem Weg abzudrängen, der dorthin führt.

Natürlich strömten alle Bewohner des Landes zum Palast des Königs, wurden aber von der List eifriger Wachmänner in die Irre geführt. Und viele von ihnen überwältigten die Wachmänner, soweit dass sie sich dem Eingang in das Schloss nähern konnten. Die Wachmänner am Eingang waren aber die Eifrigsten. Und jeden, der sich dem Eingang näherte, lenkten sie ab und drängten ihn ab mit großer Beflissenheit, bis er verzweifelt wegging. Sie kamen wieder und gingen wieder und bestärkten sich erneut, und kamen wieder und gingen wieder. So wiederholte es sich einige Tage oder Jahre, bis sie endlich ihrer Versuche müde wurden. Und nur die Helden unter ihnen, deren Maß an Geduld ausreichte, überwältigten jene Wachmänner, öffneten das Tor und wurden sogleich des Antlitzes des Königs gewürdigt, der jeden auf den ihm passenden Posten einsetzte. Natürlich hatten sie von dem Augenblick an nichts mehr mit jenen Wachmännern zu tun, die sie ablenkten und abdrängten und ihr Leben mehrere Tage oder Jahre bitter machten, als sie zum Eingang kamen und wieder gingen. Denn sie wurden dessen gewürdigt, vor der Herrlichkeit des Lichtes des Antlitzes des Königs im Inneren seines Schlosses zu arbeiten und zu dienen.

So ist es auch in der Arbeit vollendeter Gerechter. Die Wahl, die der Phase der Verhüllung des Angesichts eigen ist, findet natürlich ab dem Moment, wenn sie die Türen zur Erkenntnis der klaren Lenkung öffneten, nicht mehr statt. Zur hauptsächlichen Arbeit des Schöpfers schreitet man aber gerade im Stadium der Offenbarung des Angesichts und beginnt dann, die zahlreichen Stufen der Leiter zu erklimmen, deren Sockel auf der Erde steht und deren Spitze in den Himmel reicht. Wie es heißt: „Die Gerechten werden von Erfolg zu Erfolg schreiten“, und entsprechend der Deutung der Weisen beneidet jeder Gerechte den Ruhm seines Freundes. Diese Arbeit macht sie geeignet für die Ausführung des Willens des Schöpfers, damit sich in ihnen Sein Schöpfungsplan verwirklicht: „die Geschöpfe mit Genuss zu erfüllen“ mit Seiner gütigen und großzügigen Hand.

134. Es ist wünschenswert, dieses Höchste Gesetz zu kennen: eine Offenbarung ist nur da möglich, wo es zuvor eine Verhüllung gab. Denn Weizen wächst nur da, wo er gesät wurde und verfaulte. Gleiches im Höchsten: Verhüllung und Enthüllung (Offenbarung) verhalten sich wie Docht und die Flamme, die sich an ihn schmiegt. Denn dank jeder Verhüllung, die zur Korrektur führt, wird sich das ihr entsprechende Licht offenbaren. Und das offenbarte Licht, schmiegt sich an sie wie die Flamme an den Docht.

135. Jetzt sollst du auch die Worte unserer Weisen verstehen, dass die ganze Torah die Namen des Schöpfers sind. Auf den ersten Blick sind diese Worte unverständlich, weil man in der Torah viele grobe Worte finden kann, solche wie die Namen der Sünder, Pharao, Bilaam und dergleichen, „Verbot“, „Unreinheit“, grausame Verwünschungen und dergleichen. Wie soll man begreifen, dass all das Namen des Schöpfers sind?

136. Um das zu verstehen, müssen wir wissen, dass unsere Wege nicht die Seinigen sind. Unsere Wege bestehen darin, aus dem Unvollkommenen zum Vollkommenen zu gelangen. Auf Seinem Wege kommen alle Offenbarungen von der Perfektion hin zum Unperfekten zu uns. Denn zu Beginn wird erschaffen (emaniert) und vollendete Perfektion tritt aus Ihm heraus, und diese Perfektion steigt herab von Seinem Angesicht und verbreitet sich Kontraktion nach Kontraktion über einige Stufen, bis sie endlich zur letzten Stufe der größten Kontraktion gelangt, die unserer materiellen Welt entspricht. Dann erscheint das Materielle in unserer Welt.

137. Aus dem oben gesagten wisse, dass die heilige Torah, deren Höhe an Güte keine Grenze gesetzt ist, nicht sofort so emanierte und vor den Schöpfer trat, wie sie sich uns hier in unserer Welt darstellt. Denn es ist bekannt, dass „Die Torah und der Schöpfer Eins sind“, und in der Torah unserer Welt ist dies ganz und gar unbemerkbar. Und mehr als das, für denjenigen, der sich mit ihr Lo Lishma beschäftigt, wird die Torah zu einem tödlichen Gift.

Im Gegenteil: wie wir sagten wurde die Torah, als sie zu Beginn von dem Schöpfer erschaffen wurde, in vollendeter Perfektion erschaffen und trat so heraus, das heißt wahrlich im Stadium „Torah und der Schöpfer sind Eins“. Das ist es, was im Vorwort zu Tikunej Sohar (S.3) als die Torah der Welt Azilut bezeichnet wird: „Der Schöpfer, das Licht und Seine Handlungen sind in ihr Eins“. Dann stieg sie von Seinem Angesicht herab und kontrahierte stufenweise durch viele Kontraktionen, bis sie endlich auf dem Berg Sinai gegeben wurde, in einer Fassung, wie sie sich uns hier in unserer Welt darstellt, eingekleidet in grobe Kleider der materiellen Welt.

138. Du solltest allerdings wissen, dass der Abstand zwischen den Kleidungen der Torah in dieser Welt und den Verkleidungen in der Welt Azilut zwar unermesslich ist, es aber damit einher in der Torah selbst, das heißt im Licht, welches sich im Inneren der Kleidungen birgt, keinen Unterschied zwischen der Torah der Welt Azilut und der Torah dieser Welt gibt, wie es heißt: „Ich wandele mich nicht“ (Maleachi 3:6).

Mehr als das sind diese groben Kleidungen unserer Torah der Welt Assija keineswegs von geringerem Wert bezüglich des sich in sie einkleidenden Lichtes. Im Gegenteil übertreffen sie hinsichtlich ihrer Wichtigkeit aus dem Gesichtspunkt ihrer Endkorrektur unermesslich alle reinen Kleidungen der Torah in den Höheren Welten.

Das, weil die Verhüllung der Grund der Offenbarung ist. Nach ihrer Korrektur zur Zeit der Offenbarung wird die Verhüllung selbst zur Offenbarung, wie der Docht zum Licht wird, welches sich  ihm anschmiegt.  Je größer dabei die Verhüllung ist, desto größer wird das sich offenbarende Licht sein und wird sich an sie zu Zeiten ihrer Korrektur anschmiegen. Somit sind all jene groben Kleidungen, in welche sich die Torah in unserer Welt einhüllte, keineswegs weniger wertvoll als das Licht, welches sich in sie einhüllt, und sogar umgekehrt.

139. So besiegte Mosche die Engel mit seiner Behauptung: “Gibt es etwa Neid unter euch? Gibt es den bösen Trieb unter euch?“ (Schabbat 89). Mit anderen Worten enthüllt eine größere Verhüllung ein größeres Licht. Er zeigte ihnen, dass große Lichter sich nicht mithilfe von reinen Kleidern, in welche sich die Torah in der Welt der Engel einkleidet, offenbaren können, es aber dagegen in den Kleidern unserer Welt möglich ist.

140. Es hat sich also geklärt, dass es keinen Unterschied in was auch immer zwischen der Torah der Welt Azilut, wo „die Torah und der Schöpfer Eins sind“, und der Torah dieser Welt gibt. Und der ganze Unterschied besteht lediglich in den Kleidern, weil die Kleider in dieser Welt den Schöpfer bedecken und Ihn verhüllen.

Wisse, dass der Schöpfer nach dem Namen seiner Einhüllung in die Torah „Lehrer“ genannt wird, um dich darauf hinzuweisen, dass sogar während der Verhüllung des Angesichts und sogar im Stadium der doppelten Verhüllung der Schöpfer in der Torah weilt und in sie eingehüllt ist. Denn Er ist der „Lehrer“, und sie ist die „Lehre“ (hebr. „Torah“). Und grobe Kleider der Torah vor unseren Augen sind Flügel, die den Lehrer bedecken und verhüllen, der sich in sie einkleidet und sich in ihnen verbirgt.

Wenn jedoch ein Mensch der Offenbarung des Angesichts im vierten Stadium der Reue aus Liebe gewürdigt wird, heißt es über ihn: „Und dein Lehrer wird sich nicht mehr verbergen müssen, sondern deine Augen werden deinen Lehrer sehen“ (Jesaja, 30:20), weil von dem Moment an die Kleider der „Lehre“ den „Lehrer“ nicht mehr bedecken und verhüllen werden. Und es offenbart sich dem Menschen auf ewig, dass „Torah und der Schöpfer Eins sind“.